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Briefe und die letzten Vorbereitungen füllten den gestrigen Tag.
Müde und abgespannt, eigentlich krank und fiebernd stieg ich in Graz
Abends 6 Uhr in den Eisenbahnwagen; erst da ich heute Morgens das Meer
wieder sah und dem alten Lieblinge das freudige Θάλαττα! Θάλαττα!
entgegenrufen konnte, ward mir wieder wohl in Leib und Seele.

Die Nacht war kalt gewesen, wie wenn dem Kalender zum Trotze der Winter
noch fortdauere. Oder wollte sich die Heimath nur eindringlich dem
Scheidenden in’s Gedächtniß heften? Umsonst die Angst, daß ich sie
vergesse! es liegt ja die Nothwendigkeit der Rückkehr vor mir. Lange
konnte ich den Schlaf nicht finden; dafür fand ich in der Ungestörtheit
des Alleinseins mich selbst wieder, der sich in den Sorgen und Mühen
der letzten Monate verloren hatte. Es ist das ein Vortheil des
Reisens, daß es uns mit der Unabhängigkeit auch die unabweisliche
Selbständigkeit gibt; herausgerissen aus der Bequemlichkeit der
gewöhnlichen Verhältnisse, zwingt es uns die Gedanken und die Hilfe,
die wir sonst rechts und links neben uns schon hergerichtet fanden,
nunmehr in uns selbst zu suchen. Menschen, die sich bisher noch gar
nicht kannten, haben sich oft am ersten Reisetage erst erkennen lernen.
Ein Gang in die weite Welt ist die beste Schule für das Leben, und
gerade für uns Kinder der Civilisation eine um so unentbehrlichere,
als wir in stubenhockerischen Gewohnheiten den Contact mit der Natur
verloren haben. Diese und sich selbst findet der verzogene Mensch
dort wieder und so auch die Freiheit, die nur dort ist, wo der Mensch
allein, oder wo er fremd unter Hunderten seines Gleichen steht.

Nach 6 Uhr erwache ich. Ich sehe den Karst, auf dessen Höhe wir
fahren; die Sonne ist vom Regen versteckt, der die Steinfelder dieser
Berge noch unwirthlicher als sonst erscheinen läßt. In Nabresina hält
der Zug; die Bahn nach Italien trennt sich hier von der, welche den
Karst hinab nach Triest führt. Der Bahnhof ist groß und zweckmäßig
eingerichtet. Schon singt Alles das Italienische. Erfreut durch die
bekannten Klänge beobachte ich das zu- und abströmende Gedränge.
Ein Conducteur war mir darin aufgefallen, weil seine Blicke mich
unablässig verfolgten. War der Mann ein Vertrauter der Polizei und
hielt er mich für einen Flüchtling? Jetzt drängte er sich zu an die
offene Wagenthüre, umfaßte meine Knie, er hatte mich erkannt! Es war
Venerando, der Gondolier, der mich in Venedig immer geführt hatte. Wie
aber auch hätte ich ihn, den zierlichen, schlanken Burschen, der mich
so oft in der ärgsten Sommerhitze, nichts als ein Hemd und die leichte
Hose an, nach dem Lido, nach den Inseln, nach Torcello oder nach San
Francesco del Deserto gerudert hatte, in der steifen, zugeknöpften
Eisenbahnuniform erkennen sollen? Früh Morgens schon klopfte er damals
an meine Thüre. Ich wollte die Leute schonen und so verneinte ich
die Absicht einer Fahrt. Er aber kannte die stille Neigung meiner
Wünsche und aufopfernd wußte er mich bald zu überreden, mich ihm und
seinem Genossen hinzugeben. Landeten wir dann nach stundenlanger
Fahrt an einsam abgelegener Küste und hatte ich die Früchte, die ich
mitgenommen, mit ihnen getheilt, so geleitete er mich in das Innere des
Landes, dem Fremdlinge die herrlichen Reste einer abgestorbenen Kunst
mit all’ dem Schönheitssinn und all’ der Liebe zu seinem Vaterlande
zu erklären, die dem Südländer, und dem Italiener insbesondere,
eigen sind. War ich müde geworden, so ruhten wir neben einander auf
dem Strande aus, dem das Meer mit leicht aufschlagenden Wellen, die
immer näher unsern Füßen kamen, vertraute Grüße aus entlegenen
Fernen zubrachte. Sein fortwährendes Gelispel machte die Rede meines
Venerando noch geschwätziger. Von Venedig erzählte er mir, das vor uns
lag im Dufte gluthvoller Mittagssonne, von den Lagunen und von den
Geheimnissen, die sich nächtlich darauf begeben; zuweilen auch, wenn
ich ihm besonders geneigt schien, von sich und seinen Freunden und
daß er schon einmal das Messer gezückt, weil man seinem Weibe zu nahe
treten wollte. Ich hörte ihm immer mit regem Interesse zu; seine Worte
waren gut gewählt und seine Stimme klang melodisch. Erst Abends, wenn
die Sonne schon auf den schneeigen Gipfeln der Alpen ruhte, ruderte
er mich zurück durch das purpurfarbene Meer nach der goldbethürmten,
kuppelbedeckten Stadt. Mit mir trug ich kostbare Erinnerungen, die
ich unvergeßlich festhalte und ihm treulich danke. Sein Gefährte hieß
Beppo, aber er war vergleichsweise unbedeutend.